Symposium Buchsachverständige, 2015. PDF download (4 MB)
Qualität, Rechtssicherheit & Haftung
Die Arbeit der Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte und Buchsachverständigen
„Wien (OTS) – Ca. 100 Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte und Buchsachverständige diskutierten kritisch beim Symposium des Hauptverbandes der Gerichtssachverständigen, Landesverband Wien, Niederösterreich und Burgenland.
Auf Initiative des Buchsachverständigen Prof. Mag. Rudolf Siart veranstaltete der Hauptverband der Gerichtssachverständigen, Landesverband Wien, NÖ und Bgld. am 29. Oktober 2015 im Festsaal des Justizpalastes ein interdisziplinäres Symposium zum Thema „Die Arbeit der Richter, Staatsanwälte und Buchsachverständigen“. Schwerpunkte dieser mit fast 100 teilnehmenden Richterinnen und Richtern, Staatsanwältinnen und Staatsanwälten und Sachverständigen hervorragend besuchten Diskussionsveranstaltung waren die Themenkomplexe Qualität, Rechtssicherheit und Haftung.
Das Seminar wurde vom Präsidenten des Hauptverbandes der Gerichtssachverständigen, Landesverband Wien, NÖ und Bgld, Hon.Prof. Dipl.-Ing. Dr. Kurt Judmann eröffnet. Er wies auf die Bedeutung der Qualitätssicherung für die Tätigkeit der rd. 8000 Sachverständigen hin, die in den Landesverbänden organisiert sind. Besonders bei den in Wirtschaftsverfahren tätigen Sachverständigen hat die Sicherung der erforderlichen Qualität wegen der zunehmenden Komplexität der Sachverhalte einen hohen Stellenwert.
„Es gilt die Kommunikation aller an Zivil- und Strafverfahren beteiligten Akteure zu optimieren“, „und andererseits auch den Austausch über aktuell strittige Themen und in der Öffentlichkeit missverstandene Fragen zu vertiefen“ betonte eingangs auch Siart.
Mag. Eva Marek, Leiterin der Oberstaatsanwaltschaft Wien, gratulierte eingangs den Veranstaltern zur mutigen Entscheidung, gerade auch Missverständnisse und Ärgernisse anzusprechen und beleuchtete die jüngste Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs, deren Thema natürlich auch der Sachverständige als „Zeuge der Anklage“ sein müsste.
Der Präsident des Hauptverbandes der Gerichtssachverständigen, Vis.Prof. Dipl.-Ing. Dr. Matthias Rant kritisierte, dass in den letzten Jahren das Bild der Justiz und der Sachverständigen in den Medien zu Unrecht gelitten habe, weil Vieles nur aus dem Zusammenhang gerissen dargestellt worden sei. Schließlich warnte Rant davor, dass ein überzogenes Sparen im Justizbereich letztlich auch Auswirkungen auf die Stabilität und Qualität dieser Säule der Republik haben muss.
Staatsanwalt Mag. Michael Radasztics, Co-Leiter der Wirtschaftsgruppe der Staatsanwaltschaft Wien, sprach in seinem Impulsreferat ebenfalls das systematische „Anpatzen“ von Staatsanwälten und Sachverständigen in jüngster Zeit an, und zeichnete in seinem Eingangsstatement ein eher düsteres Bild von der aktuellen öffentlichen Meinung gegenüber dem Justizwesen. „Ziel der Staatsanwaltschaft ist es jedoch nicht, Menschen einzusperren, sondern das Finden der materiellen Wahrheit.“ Dazu bedarf es Experten und Sachverständige.
Dr. Gernot Kanduth, Vizepräsident der Vereinigung der österreichischen Richterinnen und Richter, referierte zum Einstieg seine Praxissicht auf die Sachverständigentätigkeit als Richter des Landesgerichts Klagenfurt. Dabei benannte er die Schwierigkeit des mit Rechtswissen ausgestatteten Richters, speziell in der ersten Instanz auch das für die Aufklärung eines Sachverhalts notwendige Fachverständnis aufzubringen. Hieraus ergibt sich der Bedarf an externer Hilfe. Sehr deutlich sprach Dr. Kanduth die Aufgabenverteilung zwischen Richterinnen und Richtern und Sachverständigen an: Die Beweiswürdigung und das Lösen von Rechtsfragen sind dem Gericht vorbehalten, Pflicht des Sachverständigen ist es insbesondere, in verständlicher Sprache Erfahrungssätze zu vermitteln und fachlich fundierte Schlussfolgerungen darzulegen.
Mag. Johann Guggenbichler, Richter des Oberlandesgerichts Wien, widmete sich in seinem Vortrag der Haftungsproblematik der Sachverständigen, zumal in letzter Zeit immer öfter von Beschuldigten und Angeklagten zivilrechtlich gegen staatsanwaltlich oder gerichtlich bestellte Gutachter auf Schadenersatz geklagt wurde. Dabei ging er speziell auf den heranzuziehenden Sorgfaltsmaßstab und die Wichtigkeit einer einwandfreien Dokumentation und Begründung der Methode ein. Weiters betonte er, wie wichtig die Verständlichkeit des Gutachtens sei: „Unverständliche aber richtige Gutachten sind eigentlich falsch, wenn sie nur missverstanden werden können.“
Ein weiteres heißes Eisen – den Gebührenanspruch – griff Dr. Alexander Schmidt, Vizepräsident des Handelsgerichts Wien, in der Folge auf.
Für Unruhe sorgen derzeit in ganz unterschiedliche Richtungen gehende Gerichtsentscheidungen über den Ersatz der Kosten der von Sachverständigen beigezogenen Hilfskräfte. Hier gibt es derzeit keine Planungssicherheit. Zahlreiche Sachverständige überlegen, keine gerichtlichen Aufträge mehr anzunehmen, da mitunter nur die bloßen Lohn- und Lohnnebenkosten der Hilfskräfte ersetzt werden, während in komplexen Großverfahren Hilfskräfte oft monatelang, manchmal sogar jahrelang zu vollen betriebswirtschaftlichen Kosten beschäftigt werden müssen.
Dies bedeutet in der Praxis aber, dass der beauftragte Buchsachverständige wirtschaftlich unvernünftig handeln muss, um mit Hilfskraftunterstützung Gutachten binnen angemessener Frist fertigstellen zu können. Es herrscht Einigkeit, dass das noch vom allein tätigen ausgehende GebAG 1975 einer dringenden Anpassung an die aktuellen Rahmenbedingungen von komplex gewordenen Gutachten in Wirtschafsverfahren bedarf.
Staatsanwalt Mag. Michael Radasztics skizzierte die Erwartungen der Staatsanwaltschaft an den Buchsachverständigen. Dabei stellte er die beiden Idealtypen der Arbeit zwischen Staatsanwaltschaft und Sachverständigen, „Black Box“ versus „aktive Einbindung Mitarbeit des Sachverständigen“, im Lichte der jüngsten VfGH-Entscheidung (der Sachverständige als „Zeuge der Anklage“) dar. Ebenso betonte Mag. Radasztics, dass die Qualität aus Sicht des Adressaten nicht zwingend mit dem Seitenumfang des Gutachtens wächst, sondern von einer klaren und verständlichen Sprache abhängig ist. Ebenso machte er klar, dass es trotz regelmäßiger medialer Vorwürfe für die Staatsanwaltschaft keine „Wunschergebnisse“ gibt, sondern Sachverständige aus Sicht der Staatsanwaltschaft nach dem Grundsatz „was wiegt’s, das hat’s“ ihre Gutachten erstellen sollen.
Der Buchsachverständige Dr. Thomas Keppert sprach das aus seiner Sicht schwierige Verhältnis von Auftrag, Gutachten und Anklageschrift an. Mitunter sind Gutachtensaufträge nicht ausreichend bestimmt, auch weil dem Auftraggeber das Spezialwissen fehlt. Hier ist eine frühzeitige Kommunikation zwischen Staatsanwalt bzw. Gericht und Sachverständigem hilfreich. Ebenso wünschte sich Dr. Keppert ein Mehr an Kommunikation nach Erstattung des Gutachtens, insbesondere für die Vorbereitung des Sachverständigen auf die etwaige Hauptverhandlung.
Weiters sprach er die bei Wirtschaftsdelikten besonders ausgeprägte Schwierigkeit an, dass der Sachverständige von Gesetzes wegen keine Beweiswürdigung vornehmen und keine Rechtsfragen lösen darf und soll, da dies dem Staatsanwalt bzw. Gericht vorbehalten ist. Jedoch ist die Feststellung zB der betriebswirtschaftlichen (Un-)Sinnhaftigkeit einer Unternehmerentscheidung immer auch ein Stück weit eine Beurteilung zur subjektiven Tatseite und auch von gemischten Rechtsfragen.
Zum Abschluss betonte Mag. Rudolf Siart, Buchsachverständiger, dass bei hochkomplexen Themen zwei Gutachter durchaus zu zwei zumindest teilweise verschiedenen Befunden kommen und dennoch der Sache dienen können. Dies bedeutet aber für die Gerichtsverhandlungen mehr Diskussionen über Sachfragen. Entscheidend sind aus seiner Sicht eine klare und verständliche Formulierung, die Nachvollziehbarkeit der Gutachten und eine profunde Begründung der gewählten Methode – nicht nur aus Gründen der Haftung.
Weiters zeigte Mag. Siart anhand von Praxisfällen zu Fragen des Schadenersatzes, der Unternehmensbewertung und der Zahlungsunfähigkeit auf, dass betriebswirtschaftlich unverständliche und stark zu kritisierende Herangehensweisen von Sachverständigen tatsächlich eklatante Ergebnisunterschiede mit sich bringen können und nicht zur Wahrheitsfindung beitragen.
Zuletzt sprach er potenzielle Unwägbarkeiten im Zusammenhang mit teilweise unbestimmten Gesetzesbegriffen in den neuen Bilanzstrafrechtsbestimmungen (§§ 163 a – d StGB) an, die durch Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs zu klären sein werden.
Bei der anschließenden Diskussion konnten weitere – mit klaren Worten offen angesprochene –Anwenderfragen diskutiert werden. Rundum eine Veranstaltung mit hohem Praxisbezug!“
Quelle: http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20151104_OTS0163/qualitaet-rechtssicherheit-haftung
veröffentlicht: 4. November 2015